Charly.
Der gute Charly ist ein dunkles Kapitel unserer Fuchsgeschichten
und ohne Happy End.
Es begann wie so häufig. Ein überaus mutiger Jäger
tötete Charlys Mutter und setzte sich dann zu Hause vor
den Fernseher, während im Wald hilflose Fuchswelpen vergeblich
auf die Rückkehr ihrer Mutter warteten. Charly und seine
Geschwister waren schon etwas älter. Sie konnten den
Bau verlassen und so wurde Charly gefunden und von tierlieben
Menschen aufgezogen.
Charly entwickelte sich prima. Er war ein echter Rotfuchs,
mit rostrotem Rücken und einem ausgeprägten Selbstbewustsein.
Je älter Charly wurde, desto mehr zeigte sich sein Drang
nach Freiheit. Er wollte seiner inneren Stimme folgen, ein
eigenes Revier haben und dort eine Familie gründen. Auf
der anderen Seite genoss er aber auch die Vorzüge des
Haustierlebens, wie Futter, Liebe und Zuneigung wann immer
er sie haben wollte.
Charly ging, aber er entschloss sich, seinen Bau ganz in der
Nähe seiner menschlichen Mutter anzulegen. So konnte
er zwischen Wild- und Hausfuchs hin und her springen. Mal
war er der Fuchs in der Natur und mal der zahme Fuchs, der
auf seine Portion Futter wartete.
Jeden Morgen schloss Charly sich seiner Mama beim Spaziergang
an. Sie nahm ihn auf den Arm, streichelte und schmuste mit
ihm. Und dann wartete Charly brav auf etwas Leckeres, was
Mama ihm natürlich mitgebracht hatte.
Manchmal spielten die Beiden stundenlang zusammen, manchmal
hatte Charly auch nur wenig Zeit. Hin und wieder besuchte
er seine Ersatzmutter auch mal zu Hause und diese freute sich
schon auf den Tag, an dem Charly ihr seine Füchsin und
vielleicht sogar seine Kinder vorstellen würde.
Doch dazu sollte es nie kommen. Eines Morgens war Charly nicht
am üblichen Treffpunkt. Zunächst nicht wirklich
beunruhigte dachte Charlys Mama sich, dass er wohl einfach
irgendwo unterwegs sein würde. Doch auch in den nächsten
Tagen blieb Charly verschwunden. Mehrmals täglich ging
sie zu Charlys Bau. Jedesmal in der Hoffnung, Charly dort
anzutreffen. Sogar Freunde und Nachbarn beteiligten sich an
der Suche. Doch Charly blieb verschwunden.
Von den Jägern natürlich verhasst, hatte Mama-Charly
schön des öfteren Drohanrufe erhalten. So schlimm
der Gedanke auch war, rechnete sie damit, ihren Charly getötet
vor die Tür geworfen zu bekommen. Diese Vorstellung war
schrecklich, doch die Wirklichkeit sollte weit über das
Vorstellungsvermögen normaler Menschen hinaus gehen.
Tage später dann kam wieder mal ein Anruf: "Sie
können Ihren Krüppel an üblicher Stelle abholen!",
sagte die Stimme und legte auf.
Charly lag wimmernd vor seinem Bau. Zwei menschliche Bestien
in Gestalt von Jägern hatten dem Tier bei lebendigem
Leib den Schwanz ausgerissen. Als Racheakt gegen die Fuchsfreundin
und um sie mundtot zu machen.
Behutsam und mit Tränen in den Augen, fast ohnmächtig
vor Wut und Schmerz, hob Frauchen das schwer verletzte Tier
auf und fuhr mit Charly so schnell wie möglich zum Tierarzt.
Die Wunde musste dringend versorgt werden.
Der Tierarzt aber konnte Charly nicht mehr helfen. Obwohl
es für einen Fuchs schwer ist, hätte er ohne Schwanz
bei seiner menschlichen Mutter leben können. Doch die
Jäger hatten Charly nicht nur den Schwanz ausgerissen,
sondern ihn dann mehrere Tage schwer verletzt versteckt gehalten.
Schwerste innere Verletzungen waren die gewollte Folge der
brutalen Tierquälerei. Die Wunde begann bereits zu faulen.
Jede Hilfe für Charly kam zu spät. Ihn einzuschläfern,
um ihn von seinen Schmerzen zu erlösen, war das einzige,
was Frauchen noch für ihren Charly tun konnte. Und so
starb ein junger Fuchs in den Armen seiner menschlichen Mutter
und mit ihm die Hoffnung einer Frau, die alles für ihren
Charly getan hätte und ihn über alles geliebt hat.
Und irgendwo sitzen zwei Menschen, halten sich für zivilisiert
und sind vermutlich auch noch stolz auf ihre mutige Tat.
Was muss Charly mitgemacht haben? Womit haben Tiere es verdient,
dass eine Handvoll schießwütiger und blutgieriger
Waffennarren so mit ihnen umgehen darf?
Und seine menschliche Mutter? Tieren gegenüber keinerlei
Ethik und Moral zu haben, ist schon unmenschlich. Doch die
Gefühle eines Menschen mit voller Absicht so mit Füßen
zu treten, zeugt von der potentiellen Gefahr, die von Jägern
ausgeht. Wer in der Lage ist, Mensch und Tier so etwas anzutun,
der gehört weggeschlossen. Er ist eine unzumutbare Gefahr
für die Allgemeinheit. Heute war es nur ein Fuchs. Morgen
ist es das Kind vom Nachbarn, weil es in Jägers Garten
Äpfel vom Baum klaut.
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